Montag, 21. März 2016

05.03.2016 | Eine außergewöhnliche Einladung

Wieder erleben wir in der Nacht ein gewaltiges Gewitter mit "allem Drum und Dran". Blitze und Donner wechseln sich ab und scheinen sich überbieten zu wollen. Der Regen prasselt mit mächtiger Gewalt auf die Wohnkabine. Irgendwann ist der Spuk vorbei – der anbrechende Tag scheint uns versöhnen zu wollen.

Wie üblich wird Zora beim Morgenspaziergang durch bellende Hunde belästigt. Sie kann sich auf mich verlassen. Ich verscheuche die Hunde mit kräftigen, lauten Zischlauten und entsprechenden Armbewegungen. In unmittelbarer Umgebung streiten sich Katzen mit schrecklichem Kampfgeräusch. An anderer Stelle sitzen Katzen in voller Eintracht zusammen.



Wir laufen durch das kleine Basarviertel, das zur frühen Morgenstunde noch absolute Ruhe verbreitet – später wird hier in den kleinen Gassen das Leben brodeln. Unser Weg führt uns zunächst wieder an die nördliche Bucht, vorbei an den Resten einer mit Zinnen bestückten Festungsmauer.



Am Ende der Landzunge erreichen wir dann Büyükdeniz, die südliche Bucht von Foca. Hier liegen die größeren Yachten und Segelboote, wartend auf ihre Besatzung und ihre Gäste, die sie dann zu den vorgelagerten Inseln, zur Badeinsel Incir Adasi oder zu den Inseln der Sirenen einladen – natürlich nicht kostenlos. Zweifellos ist Kücükdeniz, die kleinere, nördliche Bucht, an der wir jetzt zu unserem Übernachtungsplatz wieder zurückkehren, der schönere, aber auch touristischere Teil des kleinen Fischerdorfes.

Einige Sätze noch zu unserem eingespielten Morgenritual: Aufstehen gegen 7 Uhr, Morgenwäsche, Hundefutter vorbereiten, Spaziergang mit Zora. Es ist unschwer ersichtlich, dass ich hier zunächst meine "Morgentätigkeit" beschreibe. Young-Ran bereitet sich zwischenzeitlich durch ihre Morgentoilette auf das Frühstücken vor. Wer mit dieser Definition Schwierigkeiten hat, kann hierzu einen interessanten Artikel lesen. UNBEDINGT LESEN, DER ARTIKEL BESEITIGT MISSVERSTÄNDNISSE UND GIBT SEHR GUTE ANLEITUNGEN! Nach meinem, unserem Spaziergang, ich werde schließlich von Zora begleitet, bereite ich das Frühstück vor. Kaffeewasser kochen, Kaffee aufbrühen, die Frühstückszutaten (Brot, Wurst, Käse, Marmelade) nach außen reichen – Young-Ran verteilt diese auf dem Tisch vor der Wohnkabine – Besteck und dergleichen folgen. Für unterwegs, also nicht auf dem Campingplatz, haben wir uns für NestCafé Gold entschieden, dies soll keine Werbeaussage sein, nur der Hinweis, dass wir keine Kaffeereste (Kaffeemehl) entsorgen möchten. Jetzt kann das gemeinsame, gemütliche Frühstücken beginnen. Nein, noch nicht, der Süßstoff für Young-Ran fehlt. Nach dem Frühstücken und dem Reinreichen aller "Frühstücksutensilien" durch Young-Ran übernehme ich den Abwasch in der Wohnkabine mit der, nicht täglichen Bemerkung, es ist doch schön, wenn der Mann alles macht. Antwort: das mache ich nun schon seit 40 Jahren. Unschwer zu erkennen, das ist Young-Rans Aussage. Für das Abwaschen wird unterwegs kein Wasser verschwendet und kein Spülmittel verwendet, nur heißes Wasser – damit wir problemlos das Schmutzwasser entleeren können. Ein tägliches Ärgernis für mich ist der Schwamm mit seiner grünen Scheuer-Unterseite (oder ist es die Oberseite?). Die grünen, feinen Reste sammeln sich im Wasser an. Liegt es an der Qualität des Schwammes? Vielleicht kann hierzu mal die "Hausfrau", es kann auch der "Hausmann" sein, Stellung nehmen. Nach dem Abwaschen erhält Zora ihr vorher von mir eingeweichtes Trockenfutter, angereichert mit einem Teelöffel Olivenöl. Ihre Futterration wurde von der Tierärztin auf z. Z. 210 g Trockenfutter eingeschränkt, da sie stark zum Zunehmen neigt. Wir, Young-Ran und ich, neigen (eigentlich) weniger dazu, da wir uns den ganzen Tag bewegen, wie z. B. bei der jetzigen Innenreinigung unserer Wohnkabine. Young-Ran fegt den Fußboden, ich bürste draußen die Eingangsmatten und das Hundekissen. Tag für Tag der gleiche Ablauf. Auch heute – bis wir dann in südöstliche Richtung nach Izmir starten.

In der Gegend um Seyrek, ca. 30 km vor Izmir, fahren wir rechts und links unserer Strecke an riesigen Reisfeldern vorbei und bleiben vor einem außergewöhnlich anmutenden Bau stehen, der hier in die ländliche Gegend gar nicht so passend erscheint. Mein Erstaunen wird noch größer als ich lese GEDIZ ÜNIVERSITESI, Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften. Ich nehme mir die Karte zur Hand, um zu sehen, wo wir uns genau aufhalten. 


Unserem Fahrzeug nähern sich zwei Sicherheitsbeamte, nein, eher Pförtner. Ich gebe ein Zeichen, dass wir gleich wieder weiterfahren. Aber, mein Erstaunen nimmt nun ein noch größeres Ausmaß an. Der eine, der etwas kleinere und jetzt direkt neben uns stehende Herr, lädt uns fragend zum Nescafé ein. Nicht nur aus Höflichkeit, nein, aus Freude über solch unerwartete Geste, nehmen wir die Einladung spontan an. Natürlich dürfen wir fotografieren, unser Fahrzeug können wir auch auf dem Parkplatz abstellen. Wir werden gebeten, in die Pförtnerloge zu kommen. Links und rechts, unsere Wangen berührend, werden wir umarmt – es ist eine außergewöhnliche Situation. Man stelle sich diese Begegnung vor einer deutschen Universität mit türkischen Touristen vor. Unvorstellbar. Unsere Gastgeber sprechen nur Türkisch, kaum Englisch. Wir führen einen Informationsaustausch fast ohne sprachliche Verständigung. Tauschen Bilder aus, die auf den Handys des jeweils anderen abgespeichert sind, Familienfotos, ihre und unsere. Wir werden auf die Internetseite der Universität geführt und können uns durch ein YouTube Video über die Universität informieren – ich zeige die RAW WebSeite und werde auf einem Foto mit John Clooney verglichen – soll das eine Ehre für den Schauspieler sein?

Wir tauschen unsere Namen aus.

Über Facebook finde ich später:
Emrah Urlu
Wohnt in İzmir, Turkey
Aus Erzurum

Über Ahmet Özcan finde ich bei Facebook folgenden Eintrag:
Hat hier studiert: Ege University

Emrah reicht mir noch eine Notiz, die ich mir später übersetzen lasse. Auf jeden Fall steht dort eine Telefon-Nummer. Seine? Eine Verständigung über das Telefon scheint mir dann aber doch sehr schwierig zu sein.



Wir verabschieden uns  wieder umarmend. Einige Erinnerungsfotos werden von mir noch "geschossen", dann stellen sich Emrah und Ahmet abwechselnd an unser Fahrzeug und machen für sich selbst mit ihren Handys ihre Aufnahmen. Mit einem herzlichen Winken fahren wir davon. Bei Emrah hatte ich den Eindruck, dass unser Besuch ein bleibendes Erlebnis hinterlassen wird. Genauso, wie bei uns.

Frisch auf den Tisch – geht uns in der Vorstadt von Izmir ein junger Mann mit einem lebenden Huhn über die Straße. Auch wenn es, dem Aussehen nach, eher ein altes Suppenhuhn ist. In Izmir, nach Istanbul und Ankara, die drittgrößte Stadt der Türkei, "arbeiten" wir uns durch den lauten, hupenden und hektischen Großstadtverkehr durch. Ein großer Aufenthalt ist nicht vorgesehen, Izmir ist für uns nur kurze Durchgangsstation in südliche Richtung. Das Stadtzentrum meiden wir absichtlich. Istanbul und Ankara haben wir bei unserer Türkei-Reise gleichfalls ausgeschlossen. Die Suche nach einem Parkplatz gestaltet sich schwierig, bis ich links vor uns auf der anderen Straßenseite einen freien Platz ausmache. Wir nutzen die nächste Wendemöglichkeit, ehe wir den vermeintlichen Parkplatz anfahren. Uns wird deutlich gemacht, dass es sich hier nicht um einen Parkplatz, sondern um einen Baustellenbereich für abgestellte Baufahrzeuge handelt. Es folgt der Hinweis, auf einen für uns geeigneten Parkplatz mit der anschließenden Frage nach unserer benötigten Parkdauer. Höchstens 1-2 Stunden ist unsere Antwort – wir wollen nur kurz Essen gehen. Die Reaktion ist für uns überraschend. Wir und unser Fahrzeug sind nun willkommen und dürfen hier stehen bleiben. Wieder eine tolle Geste türkischer Gastfreundschaft.

Von unserem "Parkplatz" laufen wir nur wenige hundert Meter um festzustellen, dass wir uns im Rotlichtmenü befinden. Damen sprechen aber nicht mich an, sondern Zora – für Young-Ran kann das nur beruhigend sein. Um unseren Zeitplan von 1-2 Stunden Aufenthalt einzuhalten, wählen wir das nächstbeste Lokal für unseren Mittagsaufenthalt. Wir werden nicht enttäuscht, das Angebot ist gut und preiswert. Aus dem Büffet können wir uns die Speisen zusammenstellen.



Rechtzeitig genug, um unser gegebenes Wort einzuhalten, kommen wir zu unserem "Parkplatz" zurück. Aufgrund der nun herrschenden Hauptverkehrszeit können wie die Stadt über viele Kilometer nur im Schritttempo verlassen.

Viel Interesse räumen wir Seferihisar, südwestlich von Izmir ein. Bei unserer Reiseplanung bin ich durch einen Reiseführer auf die Stadt aufmerksam geworden. Auf Seferihisar wird wie folgt eingegangen: Das Konzept der "langsamen Stadt" entwickelte sich aus der weltweiten Slow-Food-Bewegung, die zum Ziel hat, lokale, traditionelle Gerichte zu erhalten. Slow City wiederum bedeutet eine Ausrichtung des städtischen Lebens im ökologischen, nachhaltigen, humaneren Sinne. Der lokale Charakter soll vor Überbauung geschützt, das traditionelle Handwerk gefördert, die Natur vor Zerstörung bewahrt werden. Dem Netzwerk, zu dem mittlerweile an die 150 Städte in über 20 Ländern gehören, schloss sich auch das kleine Seferihisar im Südwesten von İzmir an. Das Konzept will die neuesten Entwicklungen nutzen, um eine alternative, menschlichere Lebensweise zu fördern. Erdwärme und Windenergie werden bereits genutzt. Ein Fahrradprojekt, eine durch Alternativenergien betriebene Straßenbahn und ein Biogaswerk sind die ersten realisierten Projekte. Die Kommune unterstützt das Konzept; die Bewohner hoffen auch, so nicht zu einem Rentnerparadies zu werden, sondern die jüngeren Generationen durch das Schaffen von Arbeitsplätzen zu behalten. Ob das Konzept erfolgreich umgesetzt werden konnte, ist durch unseren Besuch von Seferihisar nicht erkennbar. Mit Sicherheit würde die Kommune darüber aber entsprechende Auskunft geben.

Einen Kurzbesuch statten wir Özdere ab. Meine Schwägerin, die Frau meines Bruders Frido, einer der beiden Söhne aus erster Ehe meiner Mutter, wird hier im April für 10 Tage ihren Urlaub verbringen und neue Kraft für die Pflege meines an Parkinson und Demenz erkrankten Bruders "tanken". Wir werden uns auf halber Strecke zwischen Özdere und Kas treffen, um gemeinsam einige Tage zu verbringen. Vielleicht wird daraus auch eine kleine "Fotoreise".

Einige Kilometer hinter Özdere, in Ahmetbeyli, fahren wir von der Landstraße ab. Vier Hinweisschilder weisen auf Campingplätze hin. Am Strand müssen wir aber feststellen, dass keiner von denen zu dieser Jahreszeit geöffnet ist. 




Stattdessen bietet sich KAMP MUSTERISI neben einem gleichfalls geöffneten Restaurant an, dessen Besitzer uns fragt, ob wir zum Abend einkehren möchten. Wir bestätigen dies und bekommen zur Antwort, dass wir dann auch auf seinem Parkplatz stehen bleiben können. Kostenbewusst und dankend nehmen wir das Angebot an. Ob Kamp- und Restaurant-Besitzer hier in einer Person auftreten oder eher Konkurrenten sind, ist nicht ersichtlich. Für uns aber auch nicht so relevant – wir sind mit unserem Übernachtungsplatz zufrieden.

15.905 km Tagesstart
16.080 km Tagesende



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